Jörg-Detlef Zoller

 

Geboren am 27. April 1946 

 

Ich bin ein Katastrophenmensch!

In meinem Intro zum Blogg habe ich bereits beschrieben, dass mein Leben durch Krankheit, Unglück und Katastrophen bestimmt wurde.  

 

Wahrscheinlich passt es auch nicht in das Weltbild unserer Mitmenschen, dass ein Autohändler, der Armeefahrzeuge fährt und restauriert und von alten Autos umgeben ist, nach ethischen Grundsätzen lebt.  

 

Zu meinen grossen Schwächen gehört wohl auch, dass ich Ungerechtigkeiten viel zu lange erdulden kann. Zu meiner Zeit konnte man nun mal seine ungerechte Familie erst nach 21 Jahren ablegen.

 

Die Katastrophen haben mich von klein auf geprägt, letztlich auch positiv gestärkt und grosse Kräfte in mir frei gesetzt. Nun erst recht! Geht nicht gibt’s nicht!

 

Das Baby

 

Über meine Geburt gegen 21.00 Uhr am 27. April 1946 haben sich meine Eltern vermutlich noch riesig gefreut.

 

Josef Waschicek mit mir 1947

Aus Erzählungen ist mir in Erinnerung, dass mein Opa dann entscheidenden Anteil an meinem Wohlbefinden als Baby hatte. Über das tatsächliche Verhältnis meiner Mutter zu meiner kleinen Person ist mir leider nie etwas berichtet worden. Ein Vater kümmerte sich in diesen Zeiten gar nicht um seine Kinder.

 

Die Oma war Tschechin aus dem Adlergebirge und sprach kaum Deutsch. Als Näherin war sie in die damals riesige Braunschweiger Jutespinnerei gekommen. Der Opa war Maurermeister, der sich schliesslich von schweren Verletzungen nach einem Angriff durch Fremdarbeiter und dem mehrfachen Verlust des Vermögens nicht mehr erholte und sich das Leben nahm. Immerhin hat er seiner Familie als Versorgung das grosse Grundstück mit Zweifamilienhaus am Stadtblick in Braunschweig hinterlassen.

 

Meine Mutter beendete unsere bohrenden Anfragen zur Familie immer:

„Das erzähle ich euch später mal.“

 

Die Angehörigen meines Vaters lebten in Nürnberg und Gunzenhausen. Dadurch hatten wir kaum Kontakte. Über seinen Vater wurde nie etwas bekannt. Oma Gunzenhausen kannte ich nur als hageres Mütterchen im Sessel, die Dank einem Tremens, oder wie man die zitternde Hand nannte, nichts mehr auf dem Löffel hatte wenn er am Mund war.  

Ich wunderte mich bei jedem Ferienbesuch, dass sie immer noch nicht verhungert war.

 

Während Mitschüler Stammbäume ihrer Familie anlegten, hatten wir nur einen Schweigenbaum.

 

Die Krankheit

 

An die Zeit von 3 bis 6 Jahren habe ich nur Erinnerungen an festgebunden werden an Krankenhaus- und Sanatoriumsbetten und die „liebevolle Behandlung" durch die Krankenschwestern. Nachts zog der Buhmann durch die Räume. Die schwarzen Nonnengewänder waren dafür hervorragend geeignet. Kinderheiminsassen und katholische Kinder kennen das Problem und werden sogar inzwischen für so Etwas entschädigt. Die Narben bleiben aber ewig.

 

Mit der Lungentuberkulose hatte mich vermutlich meine Grossmutter angesteckt. In der Nachkriegszeit konnte ich dann wohl froh sein, als lungenkrankes Kind überhaupt am Leben zu bleiben.  

 

Die "zeitgemässen" Behandlungsformen führten dazu, dass ich von Ängsten geprägt und ohne jede Unterstützung meiner Eltern zu einem absoluten Aussenseiter wurde.

 

Zunächst wurde ich in Bethel BodelschwinghscheStiftungen behandelt, eine Einrichtung in Bielefeld.

 

„Lernziel.menschlich“ schreibt man heute auf die Homepage. Vermutlich hat man gelernt.

 

Danach wurde ich dann nach Scheidegg im Allgäu verlegt. Bei den grossen Entfernungen kamen meine Eltern ein mal pro Jahr zu Besuch. Ich erinnere mich an Fotos: Mein Vater hatte zunächst ein Motorrad mit Beiwagen und später einen FIAT Topolino.

KurverwaltungScheidegg - Rehaeinrichtungen

 

In welcher der vielen Einrichtungen ich zwar gesund gepflegt aber auch fürs Leben gezeichnet wurde – vielleicht hilft mir mal ein Besuch in der Stadt weiter und ein Gebäude erkennt mich wieder. Aber Scheidegg liegt leider nicht am Meer und ich brauche meist dringend die salzige Seeluft zum erholen.

 

Die Kindheit

 

Von meiner Tochter weiss ich, an was sich ein Kind noch nach 3 Jahren erinnern kann. Ich kam also nicht geheilt aber austherapiert nennt man das wohl heute, aus einem geregelten Gemeinschaftsalltag einer Klinik in eine mir fremde egozentrisch chaotische Familie.

 

Solch ein Kind hatte sich dann allerdings meine Mutter überhaupt nicht vorgestellt.  

 

Ich passte so absolut nicht in ihre kleine Welt. Und von meinem Vater bekam sie wohl auch keine Unterstützung. Der war Verwalter und Theatermann mit Arbeitszeiten, die mir nach den Krankenhausaufenthalten völlig fremd waren. Morgens wurde nicht aufgestanden und gefrühstückt. Mittagessen gab es gegen 14.00 Uhr. Abends waren wir Kinder im Bett, wenn der Vorsitzende aus dem Theater kam.

 

Mein Vater nutze dann in den Folgejahren meine Krankheit aus und fuhr mit mir jedes Jahr im Frühjahr zum Ski laufen ins Schnalstal. Den einsamen Hof unter dem Gletscher hatte der Skiverein der Uni entdeckt. Mit dem gleichaltrigen Sohn Leo der Pensionsfamilie Gurschler DasSchnalstal | Bayerisches Fernsehen | Fernsehen | BR.de wurde ich zu einem perfekten Skiläufer. Er hat sich vor Jahren das Leben genommen. Falsche Berater, zu dicke Investitionen. 

 

Italien, der Urlaub ein Muss jedes Jahr, war für mich als Lungenpatient viel zu warm im Sommer. Bei Oma,Tante und Onkel war ich dagegen gern in den Ferien. Die Fenster der Wohnung in Nürnberg zeigten auf den Bahnhof Dutzenteich und wir verbrachten Stunden mit der Beobachtung des Zugverkehrs. Das war Onkels preiswertes Hobby. Es gab Schutzkissen für die Ellenbogen und er kannte den gesamten Fahrplan auswendig.

 

Wegen der Skiferien während der Schulzeit lernte ich dann in der Volksschule nicht genug. Als einer der Besten kam ich nach der vierten Klasse in die Aufnahmeprüfung der Neuen Oberschule. Als einer der Schlechtesten schnitt ich ab. Vom Bruchrechnen hatte ich nie gehört. 

 

Die Schulzeit

 

Leider waren mein Vater und der Direktor Linne der Neuen Oberschule alte Kriegskameraden. So wurde ich trotzdem noch aufgenommen. Ich schleppte mich durch die gesamte Schulzeit, blieb vermutlich in der 7ten Klasse sitzen und war schon früh zu der Ansicht gekommen, dass ich alles werden wollte, bloss kein solcher Akademiker wie diese Nachkriegstypen.

 

Hätte ich übrigens die Gene der heutigen Doktoren aus der copy and paste Generation, könnte ich mir bedenkenlos eine grandiose Schulzeit zusammen lügen. Nachdem bei dem Grossbrand 2000 auch meine schlechten Zeugnisse vernichtet waren, bekam ich nur eine Schulzeitbescheinigung. Zeugnisabschriften gab es aus der Zeit noch nicht.

 

Aber ich stehe dazu. Ich war ein schlechter Schüler. Warum sollte ich auch Dinge lernen, die ich später nicht brauchen würde. Kindern sagt man, lern etwas, du brauchst es später im Beruf. Da Kinder nicht wissen was Beruf ist, sehen sie auch nicht ein, dass sie lernen sollen. Durch genaues Beobachten der Erwachsenenwelt war mir früh klar: Handel, Technik und Handwerk waren meine Berufung. In der Konservenfabrik meines Nennonkels habe ich  gern in den Ferien gearbeitet.    

 

Da in der Schule das Sitzen für mich Folter war, wollte ich so schnell wie möglich eine Lehre im Handwerk machen. 

 

Gerade jetzt im Jahr 2012 gibt es die Prechts, die Hüthers die eine Revolution des Schulsystems fordern. Auch wenn meine Mutter noch kurz vor ihrem Tod meinte, ich hätte studieren sollen, mein persönlicher Weg war der richtige und ich habe auf anderen Wegen eine durchaus ausreichende Bildung erlangt.

 

Dank LungenTB später eingeschult und auf dem Gymasium sitzen geblieben, verliess ich gegen den Willen meiner Eltern aber dafür mit grosser Zustimmung der Lehrer die für mich grauenhafte Schule 1966 mit der Mittleren Reife als alter Mann von fast 18 Jahren.

 

Die Schwester

 

Als ich 8 Jahre alt war, kam meine Schwester zur Welt. Meine Eltern freuten sich wieder mal riesig. Endlich ein ordentliches Kind. Rasch merkte allerdings die stolze Mutter, auch ein ordentliches Kind macht Arbeit und kackt die Windeln ein. Ich wurde ja vermutlich als Baby noch meist von meinem Grossvater versorgt. Und so wurde ich als Babysitter und Haushaltshilfe an meine jeweiligen Aufgaben geprügelt.

 

Da meiner Schwester solche Erfahrungen erspart blieben, hat sie natürlich eine ganz andere Erinnerung an ihre Kindheit und an ihre Eltern. Sie wurde sofort das jederzeit bevorzugte Lieblingskind der Eltern und ich war sowieso schon das schwarze Schaf der Familie.

 

Ihrer Erinnerung nach habe ich sie später im Stich gelassen, weil ich mit 18 Jahren aus dem Elternhaus strebte und sie als Zehnjährige dann mit den Eltern allein zurecht kommen musste.

 

Die Ausbildung

 

Als Kompromiss mit den uneinsichtigen Eltern wollte ich auf dem zweiten Bildungsweg Elektrotechnik studieren und begann dafür ein vorgeschriebenes zweijähriges Betriebspraktikum. Kompromiss? Bei mir?

 

Zu dieser Zeit waren wir erst mit 21 Jahren Volljährig. Und nach etwas verkalkter Ansicht meiner Eltern sollte ich es ja mal besser haben als sie selbst. Mit 18 hatte ich den Führerschein und mein erstes Auto, selbst verdient. Ein Fiat 500 befreite mich noch mehr als das Moped. Gleichzeitig musste ich aber grundsätzlich um 22.00 Uhr zu Hause sein. Der Fiat ist gleich nach 3 Monaten auseinander gefallen. Damals konnte man auf dem Cityring noch durch die Innenstadt kurven. Bei Hertie brach der geschweisste Hinterachsstummel und ich habe das Bild noch vor Augen wie mich mein Hinterrad überholte und nach links an einem Bus vorbei in den Hertie-Eingang rollte. Es gab keine Toten und Verletzen. Die Hinterhofwerkstatt mit dem schlechten Schweisser nahm das Autochen wieder zurück.

 

Mein Praktikum begann ich bei Siemens Signaltechnik Braunschweig in der Lehrwerkstatt. Dem Lehrmeister war ich sofort ein Dorn im Auge, kam ich doch mit der von Oma gesponserten neuen Ente zum Dienst. Er fuhr Fahrrad. Mit dem Abteilungsleiter eckte ich als Praktikantensprecher auch dauernd an weil ich ständig fachliche Verbesserungsvorschläge machte. „Das haben wir ja noch nie so gemacht.“

 

Nach einem Jahr gingen wieder mal alle Beteiligten zu meinem Vater. Wir erinnern uns, volljährig war man mit 21 Jahren. Der Praktikantenvertrag wurde in allseitigem Einvernehmen aufgelöst. Siemens war froh, mich los zu sein. Ich war froh, Siemens los zu sein.

 

Da das Praktikum genau vorschrieb wie viele Monate man was zu lernen hatte, kam ich danach in mehrere Firmen. Dort erhielt ich jeweils tolle Aufgaben, durfte bei Hinz Motoren sogar an Entwicklungen mitarbeiten und verdiente ganz nebenbei auch noch mehr Geld.  

 

Mit diesem Praktikum und mit den Erfahrungen konnte ich später jeden technischen Beruf wählen.

 

Das Studium

 

Ich wollte ja Elektrotechnik studieren. Neben meinem Hang zum Bauarbeiter, vermutlich Opas Gene, hatte ich schon als Kind fasziniert das Leben von Thomas Alfa Edison studiert.

ThomasAlva Edison – Wikipedia

 

So empfand ich es erst mal als Katastrophe, dass das Praktikum zum Studium der Elektrotechnik an der Fachhochschule Wolfenbüttel zum grössten Teil mit dem Maschinenbaupraktikum gleichgeschaltet war. Das gehörte für mich wie vieles Andere zu den mir widerstrebenden Hinterlassenschaften des Nazistaates. In der Bildung wurde Mikado gespielt. Wer sich bewegt, hat verloren.

 

Wie ich aber bereits sagte, für mein wirkliches Leben wurden hier die Grundlagen geschaffen. In den 60iger Jahren war es absolut unüblich, mal rechts oder links über den Tellerrand zu blicken.

 

In den 80iger Jahren wurde ich noch von Tischlern gescholten, weil wir beim Restaurieren von alten Küchenstühlen, Hobby meiner Freundin, Faserpolyester zum verkleben der ausgeleierten Zapfenverbindungen nahmen. Man konnte danach sogar wieder mit solchen reparierten Stühlen kippeln. Und mit selbstgestickten Gobelins aufgepolstert, wurden sie zur Zierde der Wohnung. Heute hat Würth solche Artikel für Tischler im Programm.